Marion J. Becker feiert mit ihrer Personalbe- ratung PersonalConcept in Seligenstadt in diesen Tagen das zehnjährige Bestehen. Die Inhaberin kennt die Nöte von Unternehmen, die Anliegen von Fachkräften und Wege aus dem Dilemma.
Frau Becker, ist der Fachkräftemangel ein Problem einzelner Branchen?
Ich gehe so weit zu sagen, wir haben keinen Fachkräftemangel, sondern einen Arbeitskräftemangel in allen Bereichen. Die Metall- und Elektroindustrie beziehungs- weise das Handwerk sind außerordentlich stark betroffen. Hier geht es nicht nur um ausgebildete Facharbeiter, sondern auch um gute Hilfskräfte, die man ja gerne weiter- bilden würde – wären sie denn vorhanden. Im kaufmännischen Bereich fehlen vor allem Buchhaltungskräfte. Der IT-Bereich hilft sich derzeit vorwiegend mit Arbeitskräften aus Indien, online versteht sich. Im Pflegebereich sind faktisch keine Fachkräfte mehr zu be- kommen. Der Einzelhandel, hauptsächlich der Bereich Lebensmittel, sucht einfach nur Arbeitskräfte.
Werden mehr erfahrene Fachkräfte gesucht oder Einsteiger?
Gut ausgebildete Facharbeiterinnen und Facharbeiter mit Berufserfahrung sind der Wunschtraum. Da hier allerdings der größte Mangel herrscht, wird das kompensiert über Berufseinsteiger oder Quereinsteiger. Viele mittelständische Firmen sind sehr kreativ und innovativ darin, Quereinsteiger so zu fördern, dass es für alle Seiten ein Gewinn ist.
Marion J. Becker rät Unterhemen, ihre Kultur zu überdenken. An einem „Bewerbermarkt“, wie wir ihn jetzt und wohl auch zukünftig haben, räumt sie ihnen sonst kaum Chancen ein.
Welche Qualifikationen sind besonders gefragt?
Mitdenken, die Konsequenzen des eigenen Handelns bedenken, gute Umgangsformen. In den handwerklichen Berufen gutes Zahlen- verständnis und Zuverlässigkeit.
Warum finden manche Unternehmen Personal und andere nicht?
Firmen mit einer niedrigen Fluktuation und zufriedenen Teams bringen den Menschen, die für sie arbeiten, echte Wertschätzung und Respekt entgegen. Ihre Meinung wird gehört und sie sind für ihre Bereiche verantwortlich. Mitarbeiter und Vorgesetzte begegnen sich auf Augenhöhe. Viele Führungskräfte tun sich noch schwer, Verantwortung abzugeben. Da ist ein Umdenken in der Führung nötig!
Den Universalschlüssel gibt es natürlich nicht. Wir sind ja keine Universalmenschen. Viele Firmen sind schon zu Veränderungen bereit, und der Erfolg gibt ihnen Recht. Ich selbst habe mir einige angesehen und mit Firmen- vertretern zusammen Coachings besucht. Ich möchte genau wissen, warum es funktioniert. Wenn es einen Schlüssel gibt, dann den, bei sich selbst anzufangen und seine Mit- menschen so zu behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte.
Welche Rollen spielen die Bezahlung und die Aufstiegsmöglichkeiten?
Die Bezahlung ist zwar wichtig, aber nicht mehr der ausschlaggebende Punkt. Ich habe oft Bewerber, die aufgrund des schlechten Betriebsklimas eine neue Herausforderung suchen. Aufstiegsmöglichkeiten sind durchaus interessant, aber eben in mittelständischen kleineren Betrieben nicht immer realisierbar. Braucht es wirklich immer die Karrieremöglichkeit oder ist die erfolgreiche Arbeit im Team erfüllender?
Wie wichtig sind andere Faktoren und welche sind das?
Ich plaudere jetzt mal aus dem Nähkästchen: Bei Seminaren habe ich jedes Mal festgestellt, dass die gemeinsame Arbeit an einem Projekt eine große Eigendynamik entwickelt. Jeder Mitarbeiter war stolz darauf, zusammen in der Gruppe etwas erreicht zu haben. Und alle wussten, dass die Resultate aus dem Teamplay kommen. Natürlich geht das nicht dauernd und überall. An der Werkbank kommt es drauf an, genau zu arbeiten, und zwar normalerweise allein. Aber wie beschrieben: Führungskräfte, die Vertrauen haben und Verantwortung übertragen, werden sich wundern, mit welchem Enthusiasmus und Erfolg manche Aufgabe gelöst wird.
Was hat sich beim Recruiting in den letzten Jahren geändert und welche aktuellen Trends gibt es?
Es hat sich nichts geändert und gleichzeitig alles. Geän- dert hat sich die klassische Suche: Mittlerweile werden neue IT-Firmen und Start-ups damit beauftragt, Stellen zu schalten. Über Logarithmen und Suchfunktionen werden „passende“ Mitarbeiter vorgeschlagen. Es geht im Grunde alles über die sozialen Medien und die Job-Plattformen im Internet. Als Kunde bekommen Sie dann die – vermeint- lich – idealen Bewerbervorschläge geliefert. Die Stellen- anzeige in der Zeitung ist die Ausnahme. Nichts geändert, heißt: Es gibt immer noch Firmen, die eingegangene Bewerbungen nicht bestätigen, Bewerber im Ungewissen lassen und nicht einmal absagen.
Wie unterstützen Sie Unternehmen bei der Personalsuche?
Wir suchen die passgenauen Mitarbeiter für unsere Mandanten. Die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter ist für neun Monate über uns per Personalleasing beschäftigt. Danach ist die Übernahme durch den Einsatzbetrieb kostenfrei möglich. Beide Seiten haben ausreichend Gelegenheit, sich kennenzulernen. Und natürlich gehe ich den Führungskräften gehörig auf die Nerven mit meinen Überzeugungen, was Wertschätzung und eine respekt- volle Firmenkultur angeht. Steter Tropfen höhlt den Stein.
Wie lautet Ihr Fazit nach zehn Jahren?
Angefangen habe ich mit der klassischen Zeitarbeit – die bestimmt ihre Berechtigung hat. Allerdings habe ich hier für meine persönlichen Werte keine Lösung gefunden. Die Entwicklungen schreiten immer schneller voran. Was gerade richtig ist, kann im nächsten Moment falsch sein. Nach welchen Werten richten wir uns? Und wo ist die Richtschnur für die junge Generation, die gerade ins Berufsleben geht? Welche Chancen hat die Generation 50 plus mit ihrem enormen Wissen? Aus diesen Fragen resultiert die Idee, Menschen per Personalleasing in die Unternehmen zu bringen. Jetzt, in der Pandemie, wird viel umgedacht. Unternehmen sollten auch in der Mitarbeiterführung neue Wege gehen. Ein Wandel der Firmenkultur fängt in den Köpfen an, wie jede Idee und Vision. Meine Vision ist tatsächlich: glückliche Menschen in Unternehmen. Daraus folgt auch ein zufriedenes Familienumfeld. Wäre es nicht großartig, wenn man im Supermarkt, beim Bäcker, an der Tankstelle, glückliche und freundliche Menschen trifft?